Nach „Waisen“, dem dichten und düsteren Kammerspiel um ungesunde Geschwisterblutsbande, Lüge und Schuld, das Benjamin Hille 2014 am Studio Theater erfolgreich inszenierte, macht er sich jetzt wieder an ein Stück des
renommierten britischen Theaterautors Dennis Kelly. „Girls & Boys“ ist der brillante Monolog einer geistreichen, kämpferischen Frau, Mutter zweier heranwachsender Kinder, die sich aus einfachen Verhältnissen aus eigener Kraft beruflich und sozial nach oben gearbeitet hat.

Nach wenigen, eher drögen Männerbeziehungen und einer wüsten sexuellen Sturm- und Drang-Phase verliebt sie sich in der Warteschlange des Easy-Jet- Schalters am Flughafen in einen Kerl, der ihr erst nicht sonderlich attraktiv
erscheint, sie dann aber durch seine hinreißende, ihr ebenbürtige Schlagfertigkeit beeindruckt. Gemeinsam starten sie in ein neues Leben, anfangs zärtlich, beruflich eigenständig, auf Augenhöhe und bald mit äußerst agilem Nachwuchs. Seltsam ist nur, dass die kleine Lina bereits Baupläne für New Yorker Wolkenkratzer entwirft, während Sohn Benni vor allem an deren Zerstörung interessiert zu sein scheint - Girls & Boys eben?

Die Frage, was Männer und Frauen in unserer heutigen Gesellschaft ausmacht und unterscheidet, zieht sich als roter Faden durch den Text. Wie lange ertragen es Männer, wenn Frauen ihnen auf unterschiedlichen Ebenen voraus sind, erfolgreicher agieren, intuitiv die besseren Entscheidungen treffen? Wann igelt sich ein gekränktes Ego ein, wann bricht sich unberechenbare Gewalt Bahn?

Kurz vor der weltweiten „Me too“-Debatte geschrieben, beleuchtet Kelly in seinem Stück vieles, was das Geschlechterverhältnis so kompliziert macht.

Was bedeutet es heute, dass unsere Gesellschaft von Männern für Männer errichtet wurde? Kann es echte Gleichberechtigung überhaupt geben? Wann endet „toxische Männlichkeit“ in der Katastrophe? Wie immer gelingt es Kelly, seine relevanten Themen nicht bierernst, moralinsauer oder rührselig zu verhandeln. Seine Protagonistin hat einen ebenso sarkastischen wie funkelnden Witz, agiert so herzzerreißend komisch, liebevoll - und manchmal überfordert - mit ihren Kindern, ist so frei von Selbstmitleid, erzählt so präzise, trocken, aufrichtig, überraschend, unnachahmlich von ihrem Schicksal, dass man gar nicht anders kann, als sie lachend ins Herz zu schließen. Bis ihre Geschichte einem den Atem abschnürt. Und viele Fragen auswirft, die einen lange nicht mehr loslassen werden...

Studio Theater Stuttgart e.V.

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